scheinbar und anscheinend

 17. April 2012

Da predigt nun ein gewisser Herr Sick mit seiner Zwiebelfisch-Kolumne und daraus recycelten Taschenbüchern seit Jahren korrekte Grammatikalistik und was passiert? Alle haben ’se schön gelacht und machen munter mit den Fehlern weiter, die sie auch vorher schon begangen haben.

Eines davon ist die inflationäre und falsche Nutzung des Adverbs scheinbar, das oft dort angewendet wird, wo in Wirklichkeit anscheinend gemeint ist. Mittlerweile passiert das täglich so oft, dass ich mir neben Kommentaren mittlerweile auch das Augenverdrehen verkneife. Aber da ich das falsch platzierte Wort heute schon wieder gehört und gelesen habe und meine Zunge schon zerbissen aus dem Mund flattert, kläre ich auf:

scheinbar
benutzt man, wenn ein Sachverhalt beschrieben werden soll, der nur den äußeren Eindruck erweckt, dass er so ist; aber in Wirklichkeit anders ist. «Der Kellner ist scheinbar freundlich (in Wirklichkeit hasst er den Gast). Der Bus kam scheinbar zu spät (kam er nicht, meine Uhr ging nur vor). Scheinbar ist draußen sonnig warmes Wetter (in Wirklichkeit knuspert ein eisiger Wind)».

Als Kontrolle kann auch die Wortgruppe «den Anschein erwecken» eingesetzt werden. Passt das, passt auch «scheinbar»: «In dem labberigen Hemd erweckte er den Anschein eines hageren Mannes (in Wirklichkeit ist er ein muskulöser Kreismeister im Ringen >>> also nur scheinbar hager).»

In Aussagen, in denen man also etwas vermutet, ist das Adverb «scheinbar» fehl am Platz. An seine Stelle tritt hier das Adverb «anscheinend».

anscheinend
benutzt man, wenn man etwas vermutet und die genaue Tatsache beziehungsweise Wahrheit (noch) nicht kennt. Zum Beispiel: «Max kommt zu spät. Anscheinend hat er wieder verschlafen.» oder «Jochen lässt sich das Kantinenessen bezahlen. Anscheinend hat er schon wieder sein ganzes Monatsgehalt versoffen.»