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Die ungeliebte Kreativwirtschaft in Leipzig

 13. Januar 2016

Mittlerweile bin ich lange genug in Leipzig aktiv, um zu bemerken, dass die Kreativwirtschaft in den letzten Jahren einen kleinen Aufschwung erlebt. Gerade der Mittelstand investiert öfter in Werbemaßnahmen und auch größere Unternehmen schauen sich mal in Leipzig um. Doch sobald man sich die kommunale Ebene näher ansieht, wird die Luft dünn.

Sehr offensichtlich wird dieser Umstand mit dem neuen Markenauftritt der Stadtwerke. Großes L überall, die Selbstbeweihräucherung ist aktiviert und als Nebenzeile muss man lesen: umgesetzt von einer Berliner Agentur (Artikel bei der L-IZ). Immerhin wurden als Feigenblatt drei Kreativagenturen aus Leipzig geladen.

Mal davon abgesehen, dass die mit ihren Ideen nicht den Kern trafen (was wiederum auf ein löchriges Auftraggeber-Briefing schließen lässt), frage ich mich, warum es generell nur drei ins Rennen schafften? Ich glaube kaum, dass andere Leipziger Agenturen so schlecht gewesen sein können oder der Preis ausschlaggebender Faktor war. Ich denke, viel wichtiger war der Aspekt, dass es doch deutlich öffentlichkeitswirksamer ist, sich mit einer Agentur schmücken zu können, die unter anderem die gelben und rosa Riesen oder die Bundesregierung als Kunden betreut und auch in den USA, China und Schweiz Außenstellen besitzt.

Wer trifft eigentlich generell die Entscheidung, welche Agentur am Pitch teilnimmt? Wird da recherchiert, wer was bisher wie gemacht hat und für die eigene Markenidee am besten infrage kommt oder wird nur blind auf eine Agenturliste getippt? Oder werfen die Verantwortlichen nur eine Ausschreibung in die Arena und gucken mal so, wer sich denn da so meldet? Ich habe da ehrlich gesagt keine Ahnung. Als Vorauswahl-Juror angedeutet wird der mit Preisen überhäufte Uni-Professor Ansgar Zerfaß, der aber auch nicht soviel vom Stil Leipziger Agenturen Ahnung zu haben scheint, wenn es bei deren Auswahl so einen – aus Sicht der Leipziger Gruppe – Fehlgriff gab. Vielleicht hätte man sich noch Berater der Kontaktstelle Kreativwirtschaft oder Kreatives Leipzig ins Boot holen sollen? Hat man das vielleicht gar? Oder ging es der Holding auch hier wirklich wieder nur darum, sich im Schein anderer zu sonnen? Einen Kommunikations- und Medienwissenschaftler in der Markenplanung hat ja auch nicht jeder vorzuweisen.

Viele Euros gehen nach Berlin

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Screenshot LVB Facebook

Aus dem Stegreif fallen mir locker fünf Leipziger Unternehmen ein, die dieses Projekt in identischer Qualität erdenken und umsetzen hätten können, schon allein wegen des Heimvorteils. Nur nochmal zur Verdeutlichung: wir sprechen hier von einer Million Euro für die Entwicklung und Umsetzung des neuen Markenauftritts (Auf der LVB-Facebook-Seite ist von einer halben Million die Rede). Die wanderten nun natürlich nicht in Gänze nach Berlin, hätten doch aber komplett in Leipzig bleiben können. Für die hiesige Kreativbranche bleibt jetzt nur/immerhin der Rest, der großzügig mit »95 Prozent der Kosten« (genauer gesagt der folgenden Kosten) betitelt wird. Pure Augenwischerei. Dass die Umsetzungsaufträge auf jede Menge Agenturen aufgeteilt werden und bei der Vergabe eher der Preis eine Rolle spielen wird, als inhaltliche Kreativität, schwebt als Mutmaßungsblase im Raum. An die durch die neue Dachmarke eingesparten 3 Millionen Euro Werbeausgaben der vier Subunternehmen (Beitrag bei Sputnika), die hiesige Agenturen in den folgenden Jahren auch treffen dürften, gar nicht mal zu denken.

Damit wir uns nicht falsch verstehen. Dass die Umsetzung so großzügig in der Region bleibt, ist natürlich begrüßenswert und hat vielen Städten etwas voraus. Es sichert vielen Kreativen ihr tägliches Brot und je mehr Aufträge lokal bleiben desto besser. Aber imgrunde sollte die Wahl einer regionalen Firma für ein hiesiges stadtnahes Produkt außer Frage stehen; und bei all dem Geld darf man eines nicht vergessen: Leipziger Agenturen möchten sicherlich nicht nur Dienstleistungs- und Umsetzungsknechte sein, sondern auch gern einen entwickelten Markenauftritt zu ihrem Portfolio zählen dürfen, der weitere Aufträge und damit Geld reinspült. Geld, das den Mitarbeitern zu Gute kommt, die auf die eine oder andere Art Kunde der unter der Holding vereinten Unternehmen sind. Sei es als Bahnfahrer, Stromkunde oder einfach nur Steuerzahler.

Und die Stadtverwaltung?

Immerhin bemüht sich die Stadt Leipzig mit ihrer Kontaktstelle Kreativwirtschaft, den Schaffenden eine Plattform zu geben und den Rücken zu stärken. Das erfolgreiche Mittelstandsförderprogramm wird 2016 beispielsweise fortgesetzt. Die gute halbe Million ist ein nützlicher Ankurbler für kleine Unternehmen und für die Kreativbranche ein hilfreiches Verkaufsargument bei Kleinprojekten. Allerdings reißt die Stadtverwaltung hinten ein, was sie vorn so schön aufbaut. Denn ein Verständnis für Kreative und deren Arbeit existiert innerhalb der Verwaltung eher selten.

Da gibt es beispielsweise kurzfristige hochvolumige Ausschreibungsanfragen, wo innerhalb weniger Tage Konzept, Entwurf und Preisangebot verlangt werden (immer öfter als Gratis-Vorableistung ohne Aufwandsentschädigung). In dem utopischen Fall, dass man das schafft und auch noch den Zuschlag erhält, wird auf Fertigstellung innerhalb weniger Wochen gedrängt. Erhält man keinen Zuschlag, hat man amtlich Zeit verplempert. Übrigens der Grund, weshalb ich nicht an solchen Pitches, Wettbewerben und Ausschreibungen teilnehme.

Stärker tritt in letzter Zeit hervor, dass für zeitaufwändige Grafikproduktionen, die gut und gerne mehrere Wochen reine Nettoarbeitszeit benötigen, nur die Bereitschaft besteht, einen Bruchteil der wirklichen Arbeitskosten zahlen zu können und zu wollen. Denn bereits bei der Budgetplanung wird am Kreativpart gespart. Da wird dann für immer weniger Geld immer mehr Leistung verlangt. Das treibt die Branche geradewegs in die Selbstausbeutung und imgrunde unter den Mindestlohn. Denn wessen Auftragslage nicht blüht, kann sich den Luxus nicht leisten, solche Aufträge abzulehnen, und muss sich wohl oder übel auf diese Preiskämpfe einlassen. Und wie das Ergebnis aussieht, will man sich gar nicht vorstellen.

Bleibt nur zu hoffen, dass mit dem Wachsen von Kreatives Leipzig und anderen Kreativverbänden vielleicht auch irgendwann mal die Lobbyarbeit zugunsten der Branche erstarkt, sich kommunal gezielter mit hiesigen Agenturen und ihren Stärken beschäftigt wird und bei der Vergabe/Ausschreibung von Kreativaufträgen etwas mehr Realismus einzieht.

Eins möchte ich noch hinzufügen, damit es nicht zu Missverständnissen kommt. Ich gönne dem Berliner MetaDesign-Büro den Zuschlag. Das Konzept ist schlüssig; Symbolik und Layout kann man zwar nicht als DIE Neuerfindung einer designten Marke in einem Stadtwerke-Umfeld bezeichnen, ist aber zumindest ordentlich umgesetzt. Der Knackpunkt ist auch nicht, wieviele Gelder nach Berlin geflossen sind. Ich befürchte nur, dass der Zuschlag eines kommunalen, stadtnahen Unternehmens an eine nicht in Leipzig ansässige Agentur falsche Signale nach außen sendet und ein schlechtes Licht auf unsere Kreativbranche wirft. Denn wenn schon hiesige Unternehmen nicht auf Leipziger Agenturen vertrauen, warum sollten es dann welche von anderswo?