Macht eine gedruckte Leipziger Zeitung Sinn?

 2. Dezember 2014

Der LVZ kündigt sich Konkurrenz an. Oder besser: ein Mitbewerber auf wöchentlicher Basis. Die Leipziger Zeitung (LZ) will als Gemeinschaftsprojekt von 3viertel, L-IZ und Weltnest die Leipziger Leselandschaft aufwerten, facettenreicher gestalten und bereichern. Jetzt könnte man durchaus »endlich« sagen. Die hiesige Printlandschaft kann nämlich nicht gerade als üppig bezeichnet werden. Doch nun kommt das Aber. Haben die Beteiligten überhaupt Ahnung von sowas?

sxc_branoxDie L-IZ bringt genügend KnowHow mit, regionale Themen in großer Menge stakkatoartig rauszuballern. Weltnest beweist deutliches Gespür für Ästhetik. Und die 3viertel-Jungs haben immerhin schonmal eine Zeitung herausgebracht (und soweit ich weiß, in der LVZ-Druckerei gedruckt). Eine ordentliche Basis also für das neue Produkt. – Jetzt hätte man durchaus verstehen können, dass sich das Dreiergespann an einen Tisch setzt, den Idealismus ausklammert, knallhart durchrechnet und das Projekt als schöne Träumerei ad acta legt. Doch sie haben sich für das Gegenteil entschieden. Mutig? Ja. Aber sinnvoll? – Denn sind wir mal ehrlich; wer liest heute wirklich noch ausgiebig Zeitung?

Ich möchte jetzt nicht falsch verstanden werden. Ich komme ursprünglich selbst aus der Zeitungsbranche. Arbeitete bei einer Wochenzeitung und später sehr lange in einem Verlag, der mit ähnlichem Ansinnen als Wochenzeitung begann, mit Qualität überzeugte und schließlich als ausgegründetes Unternehmen bis heute den täglichen Regionalteil einer großen Tageszeitung bespielt (übergangsweise sogar zwei). Allerdings geschah das zur Blütezeit Mitte der Neunziger. Das Konzept besitzt zwar immer noch Potential, aber ich glaube kaum, dass die LZ-Gründer dieses Ziel – eine Regionalteilübernahme der LVZ – anstreben.

Konkurrenz und Mitbewerber

Beginnen wir mal bei der Konkurrenz in den eigenen Reihen. Weltnest und L-IZ füllen ihre Web-Seiten regelmäßig mit Inhalten. Das wird sich mit Erscheinen der neuen Zeitung nicht ändern. L-IZ ist ein gestandenes Medium mit ordentlichem Ranking, dass es nicht aufgeben wird. Weltnest besitzt ebenso einen gewissen Status, den es zu halten gilt. Eine neue Wochenzeitung müsste also über die Artikelmenge dieser beiden Portale hinaus mit wertigen Beiträgen gefüllt werden. Vermutbare Konsequenz: die Frequenz der Artikel in den Portalen sinkt, deren Inhalte verlieren an Substanz, relevante tiefgründige Artikel erscheinen gar nicht mehr oder werden hinter einer Paywall versteckt (hat sich mittlerweile bewahrheitet, siehe Nachtrag).

Ein größeres Problem bilden die Mitbewerber von außen. Damit meine ich nicht den Platzhirsch LVZ, sondern dessen Töchter: die Wochenzeitungen Sachsen Sonntag und Leipziger Rundschau. Allem Anschein nach keine echte Konkurrenz für die neue Leipziger Zeitung, wenn man vom Qualitätsanspruch dieser Produkte ausgeht. Aber aus rein wettbewerbsrechtlicher Sicht wird der Leipziger Anzeigenblatt Verlag hübsch über die neuen Mitbewerber wachen. Hier glaubt doch nicht wirklich jemand, dass das Terrain freiwillig geteilt wird?

Kostspielige Abmahnungen und Verfahren landen nach der Welpenschutzzeit schneller im Kasten, als die Druckerschwärze getrocknet ist. Und Steilvorlagen wird die LZ mit Garantie abliefern; Stolperfallen sind ausreichend vorhanden. Beispiel gefällig? Es genügt ein Fingertipp auf eine beliebige Seite im Port01 oder urbanite* in einem der unzähligen Stadtmagazine. Die Chance dabei einen wettbewerbsrechtlichen Verstoß zu treffen, dürfte gar nicht mal so gering sein. Juckt in dem Fall allerdings niemanden. Wenn man allerdings wie die LZ bei den Großem mitspielen will, wird man sich an die Regeln des Spielplatzes gewöhnen müssen. Oder ein Anwaltsabo abschließen. Das braucht ein Bezahlmedium sowieso, denn es wird immer die ganz speziellen Leute geben, die sich wegen gedruckter Artikel gegen das Schienbein getreten fühlen.

Anzeigenkunden?

Wie dem auch sei. Die Leipziger Zeitung wird zwangsläufig im Gebiet der übriggebliebenen Wochenzeitungen wildern müssen. Denn wer glaubt, dass sich eine Zeitung oder Magazin durch den eigenen Verkaufspreis finanziert, muss enttäuscht werden. Abonnenten sind nicht nur bei Regional- und Tageszeitungen mittlerweile zur Ware verkommen, um Anzeigenkunden eine hohe Auflage zu präsentieren, damit die wiederrum kostspielige Anzeigen schalten. Schonmal Prämien, Werbaufwand für Abomaßnahmen mit dem Abopreis gegengerechnet? Da bleibt nicht mehr viel über.

Die knapp 900.000 Euro, welche die Leipziger Zeitung durch die 12.000 (!) Abokunden einnehmen möchte, werden also nicht reichen. Anzeigenkunden müssen her. Aber woher nehmen? Wochenkurier und hallo! als alte Hasen im Geschäft haben nicht ohne Grund ihr Ränzlein gepackt. Die Rechnung vom Kreuzer dürfte noch jedem bekannt sein (kennt eigentlich noch jemand die Leipziger Ausgabe der Nachts in Deutschland?). Dahingehend davon auszugehen, dass die LZ-Gemeinschaft einen potenten Anzeigenverkäufer an der Hand hat, halte ich für gewagt. Die 3viertel strich nicht grundlos ihre Segel und auf L-IZ scheint der Vermarkter auch im Urlaub zu sein. Vielleicht hat ja Weltnest noch ein Ass im Ärmel.

Sollte das neue Leipziger Blatt trotz meiner Bedenken erfreulicherweise gut starten und durchhalten, das Geschäft blühen, Anzeigen- sowie Abokunden Schlange stehen (was ihm zu wünschen ist), bleibt noch der unbeliebte Vertrieb. Im Gegensatz zu einer Wurfzeitung – die kostenfrei in und um Briefkästen landet oder hier und da ausgelegt wird – sind Ziel-Abos ordentlich Aufwand. Ein Grund, weshalb fast alle größere Verlage auf externe Anbieter zurückgreifen. Der wichtigste externe Anbieter in Leipzig heißt übrigens LVZ. Ich wünsche gute Zusammenarbeit. Oder zumindest starke Nerven für einen eigenen Vertrieb und Verteilsystem. Oder einen Goldesel für den Vertrieb via Deutsche Post. Oder, oder, oder. Möglichkeiten gibt es, aber jede möchte ihr Scherflein vom Abopreis abknabbern.

Und spätestens jetzt kommen wir wieder zu dem Nutzen des eigentlichen Aufwands. Liest das überhaupt jemand? Ich meine: jein. Print im Nachrichtensektor als Wochenzeitung begrüße ich, befürche aber, dass im LZ-Fall nicht die Qualität erreicht wird, deren Messlatte man sich selbst auferlegt hat. Zu groß wird der anfängliche Aufwand sein, zumal eine Zeitung nunmal komplett gefüllt werden muss. Eigentlich sollten sowohl L-IZ als auch Weltnest und im Besonderen 3viertel ganz gut wissen, dass Print jede Menge Verwaltung, Organisation und Manpower fordert.

Eine elektronische Zeitung via Apple/Google/Kindle-Zeitungskiosk oder PDF-Download wäre meiner Meinung nach der sinnvollere Schritt und zudem ein Alleinstellungsmerkmal. Da kann die LVZ bekanntermaßen nicht mithalten und die Kauf/Abo-Hemmschwelle ist bei digitalen Inhalten auch geringer.

Unterm Strich ließen sich so nach einmaligen Entwicklungskosten (auch förderfähig) unnötige Fülltexte, der Druck und Echtwelt-Vertrieb einsparen. Und wenn man so sehr auf Anfasszeitung steht: Drucken kann man ja später immer noch. So als Prestige. Oder um die LVZ zu ärgern.

Nachtrag 26. Januar 2015

Manchmal ist es erschreckend, wie naheliegend Mutmaßungen doch sein können. In dem Fall der Bezahlschranken bestätigte sich meine Vermutung schneller als gedacht. Seit einigen Tagen nämlich versteckt die Leipziger Internetzeitung ihre Beiträge (nach einer 24-Stunden-Gnadenfrist) nun hinter einer Paywall: Dem »L-IZ-Leserclub«. Über den Sinn und Unsinn von Bezahlschranken schrieb ich bereits.  Ich bin gespannt, wie es sich bei der L-IZ auswirkt und halte mich diesesmal lieber mit bösen Vorahnungen zurück.

Für Medieninteressierte hier noch ein kleiner Tipp. Bis August 2015 lädt das Zeitgeschichtliche Forum in Leipzig zu seiner Wechselausstellung »Unter Druck – Medien und Politik«. Die Ausstellung, insbesondere die beiden Tafeln mit Statistiken zu Auflagenstärke von Druckerzeugnissen im Verlauf der Zeit sowie die steigende Dominanz von Non-Print-Produkten gegenüber klassischen gedruckten Medien (im Newsbereich) dürften in dem Zusammenhang nicht ganz uninteressant sein.

* 13. Mai 2015
Ein sehr eloquenter Herr des Stadtmagazins urbanite bat mich darum, das Magazin nicht im Zusammenhang mit wettbewerbsrechtlichen Verstößen zu erwähnen, es sei denn, ich könne meine Behauptung belegen. Die dortige Redaktion achte wohl sehr penibel auf das Einhalten der Vorgaben. Ich habe bewusst auf Nachweise verzichtet, um keine schlafenden Hunde zu wecken. Da mir momentan die Zeit fehlt, ein Heft auf Verstöße zu durchsuchen und der Schwerpunkt des Beitrags sowieso auf der Leipziger Zeitung liegt, habe ich die betreffende Passage verallgemeinert.